Predigt anlässlich des Märtyrergedenkens im Dom zu Xanten am 17. Juni 1990:

Dr. Reinhard Lettmann, Bischof von Münster

Nikolaus Groß

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Liebe Christen,
liebe Mitglieder und Freunde der KAB,

in der Offenbarung des Johannes im letzten Buch der Hl. Schrift heißt es von einer Zeit der Bedrängnis für die Christen: "Jetzt muß sich die Standhaftigkeit der Heiligen bewähren, die festhalten an der Treue zu Jesus und festhalten an den Geboten Gottes."

Dieses Wort ist im Leben von Nikolaus Groß, Bernhard Letterhaus, Gottfried Könzgen, Prälat Müller und vielen Glaubenszeugen in der Nazizeit in Erfüllung gegangen.

Pater Friedrich Muckermann, ein Jesuitenpater, der zu den entschiedensten Kämpfern gegen den Nationalsozialismus gehörte und der noch so eben durch die Flucht über die Grenze nach Holland der Verhaftung entgehen konnte, schreibt in seinen Lebenserinnerungen: Unter allen katholischen Verbänden, die dem Nationalsozialismus Widerstand geleistet haben, war die KAB der tapferste und zäheste Verband.

Nikolaus Groß, Bergmann, christlicher Gewerkschaftssekretär, Chefredakteur der Westdeutschen Arbeiterzeitung, Widerstandskämpfer, hingerichtet in Berlin Plötzensee am 23. Januar 1945.

Das sind die äußeren Lebensangaben. Seine innere Gestalt wird vor uns lebendig, wenn wir seinen Abschiedsbrief an seine Frau und seine Kinder lesen, aus dem wir hier ein Stück gehört haben.

Seine tapfere Frau hat ihn mehrfach im Gefängnis besucht. Wenige Tage vor seinem Tod war sie noch bei ihm, um ihm das Sterbekreuz und den Rosenkranz zu bringen. Aus seinem Abschiedsbrief geht hervor, wer er war und wie er dachte: Treu zu Jesus!

Nikolaus Groß schreibt: "Auch jetzt in diesen Stunden, da mir der Tod vor Augen steht, fürchte ich mich nicht. Ich habe im Gefängnis viel Zeit gehabt zu beten. Ich hatte auch die Gelegenheit häufig das hl. Sakrament zu empfangen. Wenn Ihr diesen Brief lest, hat Gott mich zu sich heimgerufen."

So schreibt jemand, der von Grund auf persönlich gläubig und fromm ist. Nicht in einer Frömmigkeit die man nach außen hin in besonderer Weise vorführen will, sondern zutiefst im eigenen Leben, in allen Lebenslagen. Um den 20. Juli 1944 herum sprach der damalige Diözesanpräses der KAB von Paderborn, Dr. Kaspar Schufte, mit Nikolaus Groß und suchte ihn zu warnen. Nikolaus Groß antwortete: "Wenn wir unser Leben nicht einsetzen würden, wie könnten wir vor unserem Gewissen und vor Gott bestehen?"

Hermann Rauschnig der zu Beginn der Nazizeit Senatspräsident in Danzig war, berichtete aus seinen Gesprächen mit Adolf Hitler. Hitler sagt "Das Gewissen ist eine Verstümmelung des menschlichen Wesens. Ich befreie die Menschen von den schmutzigen und erniedrigenden Selbstvorwürfen des Gewissens und von einer. Freiheit und Selbständigkeit, der sie ja doch nicht gewachsen sind". Im Munde eines Diktators und eines Tyrannen ist dies ein verständliches Wort

Diktatoren lieben das Gewissen nicht weder bei sich noch bei anderen. Sie lieben das Gewissen nicht als Stille im eigenen Leben, denn das würde sie daran mahnen, daß sie nicht tun und lassen können, was sie wollen.

Diktatoren wollen selbst sagen, was gut und böse ist. Und deshalb ersticken sie die Stimme des Gewissens in sich selbst. Und sie wollen das Gewissen auch nicht bei anderen, denn das Gewissen setzt eine Grenze für jede Herrschaft von Menschen über Menschen.

Diktatoren wollen nicht, daß jemand sagt: Mein Gewissen verbietet mir, den Weg zu gehen, den du gehst.

Diktatoren haben es lieber, wenn jemand im großen Strom mitschwimmt und tut was befohlen wird.

Nikolaus Groß hielt fest an der Würde und der Bedeutung des Gewissens und mahnt uns, daß auch wir heute an der Würde und Bedeutung des Gewissens für das menschliche Leben festhalten.

Es gibt nicht nur Diktatoren und Tyrannen in der Form einer Einzelperson. Auch die öffentliche Meinung kann zum Diktator und Tyrannen werden, die versucht unser Gewissen anzugreifen.

Nikolaus Groß ermuntert uns, das Gewissen zu achten und in Ehren zu halten. Wenn wir unser Leben nicht einsetzen würden, so sagt er, wie könnten wir bestehen vor unserem Gewissen und vor Gott.

Gewissen bedeutet nicht Beliebigkeit, das, was mir gerade bequem erscheint und deshalb berufe ich mich auf das Gewissen. Gewissen hat zu tun mit der Verantwortung vor Gott.

Gott hat uns ins Dasein gerufen, wir müssen ihm antworten. Wir tragen Verantwortung vor Gott.

Diktatoren lieben das nicht, daß Menschen sich ihrer Verantwortung vor Gott und Gewissen bewußt werden.

Diktatoren möchten ein totales, ein totalitäres System errichten und den Menschen einschließen in das System ihrer Ideologie. Da wo Menschen um ihre Verantwortung vor Gott wissen, da wo Gott im Blick ist, ist der Himmel über den Menschen offen und es kann nicht zu einem totalitären System kommen. Wo Gott im Blickpunkt bleibt, wo die Verantwortung des Menschen vor Gott gesehen wird, kann es nie zu einem totalitären System kommen.

So liegt in unserem christlichen Glauben eine Sprengkraft für die Freiheit des Menschen. Das wissen Diktatoren und deshalb verfolgen sie den Glauben und die Kirche.

Nikolaus Groß kann uns sagen, wie wichtig es ist auch heute, daß wir durch unseren Glauben und durch das Bewußtsein der Verantwortung vor Gott über den Menschen den Himmel offen halten.

Nikolaus Groß spricht in seinem Abschiedsbrief von den Geboten Gottes. Er denkt nicht nur an die zehn Gebote und an die Gebote Jesu, die wir im neuen Testament finden. Er denkt an all das, was Gott mit dem Menschsein des Menschen in den Menschen hineingelegt hat.

Das sind die Grundwerte des Menschen, die zu den Grundrechten führen. Eine Gesellschaft, die Gott aus den Augen verloren hat, hat es schwer zu begründen, weshalb es Grundrechte für die Menschen gibt über die andere nicht verfügen können.

Wenn ich nicht zurückgehen kann auf Gott den Schöpfer, dann kommt die Frage warum kann ein Diktator oder ein Parlament die Grundrechte, die man den Menschen zuerkennen will, nicht selbst festsetzen. Dann kommt die Frage, kann man Grundrechte einem Teil der Menschen aberkennen, z.B. weil sie zu einer anderen Rasse gehören, wie wir das in der Nazizeit erlebten. Weil sie eine andere Farbe haben, wie wir das heute in manchen Teilen der Welt erleben.

Oder, weil sie so jung sind, daß sie noch nicht für ihre eigenen Rechte auf die Barrikaden gehen können wie die ungeborenen Menschen in den ersten Monaten ihres Daseins. Wenn ich nicht auf Gott zurückgehe, kommt die Frage, warum darf ich nicht Grundrechte festsetzen oder auch sie durch Mehrheitsbeschlusses ändern. Dann aber, wenn das möglich wäre, dann Gnade uns Gott.

Wenn es möglich sein könnte, daß das Parlament auch jetzt in unserem Volk beschließen könne, das Grundrecht des Menschen in den ersten Monaten seines Daseins auf Leben ist nicht schützenswert indem man z.B. auf die Fristenlösung zugeht wird man es schwer haben, zu argumentieren, warum das Grundrecht des Menschen auf Leben bei Behinderten, bei Alten und Kranken zu schützen ist.

Nikolaus Groß sah dies und deshalb hielt er daran fest und suchte dafür Meinung zu gewinnen, daß alles Tun und Handeln der Menschen sich ausrichten muß an den Grundwerten des Menschen, die ihm von Gott gegeben sind mit seiner Würde als Menschen und schließlich Nikolaus Groß sah die Bedeutung dessen für unsere Gesellschaft und für den Staat, daß er auf festen Fundamenten aufgebaut ist und lebt auf Fundamenten, die zurückreichen in die Tiefe bis hin zu Gott.

Als Chefredakteur der Westdeutschen Arbeiterzeitung hat er sich in ungezählten Artikeln bemüht dies deutlich zu machen und als die Zeitung verboten wurde, war er unermüdlich unterwegs, um in Vorträgen darauf hinzuweisen, daß die Ideologie des Nationalsozialismus, wie manche anderen Ideologien, Sumpfblüten sind, die vielleicht auf den ersten Blick schön anzusehen sind, wenn man aber näher hinzutritt, um sie zu pflücken, spürt man, man verliert den Boden unter den Füßen. Manches was als Ideologie zunächst sehr schön klingt und gut zu sein scheint gleicht einer Sumpfpflanze, die süßen, betörenden Duft verströmt und die menschliche Gesellschaft vergiftet und zersetzt.

Nikolaus Groß hatte den Mut solche Sumpfideologien deutlich zu entlarven. Diesen Mut müssen wir auch in unserer Zeit haben. Nicht alles, was uns angepriesen wird heute, hat Bestand und ist echt.

Wir alle freuen uns, daß Bischof Hengsbach, Kardinal in Essen, den Seligsprechungsprozeß begonnen hat. Wir denken noch einmal an das Wort der Offenbarung zurück: Jetzt ist die Standhaftigkeit der Heiligen gefordert die festhalten an der Treue zu Jesus und festhalten an den Geboten Gottes.

Nikolaus Groß war standhaft und hat festgehalten an der Treue zu Jesus und an den Geboten Gottes.

Es ist unser Wunsch, daß wir ihn bald als Heiligen ehren können.


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