28.09.2014

Nikolaus-Groß-Wallfahrt nach Xanten

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Predigt von Weihbischof Schepers in Xanten

Lesungen: Ez 18, 25-28 und Phil 2, 1-11 – Evangelium: Mt 21, 28-32

Liebe Schwestern und Brüder,

Stimmt nicht. Das stimmt doch alles gar nicht. Das möchte ich dem Propheten Ezechiel zurufen. „Wenn der Gerechte sein rechtschaffenes Leben aufgibt und unrecht tut, muss er dafür sterben. Wegen des Unrechts, das er getan hat, wird er sterben.“ (Ez 18,26) Viele, die Unrecht tun, bleiben am Leben – und bringen immer wieder neu Menschen in Gefahr. Töten Menschen – leiblich und seelisch.

Dafür passiert aber das Umgekehrte: Menschen, die wir als „Gerechte“ bezeichnen, die gerecht leben und handeln – sie müssen sterben. Der Selige Nikolaus Groß ist dafür ein sprechendes Beispiel. Ein Mensch, der sich für Gerechtigkeit, für Wahrheit und für das Leben einsetzt, wird gefangen genommen, inhaftiert und getötet. Das kann doch nicht in Gottes Sinn sein! Seine Frau Elisabeth und seine Kinder waren nicht im Gefängnis, sie wurden nicht getötet – und dennoch ist auch ihr Leben beschnitten worden. Der Tod des Ehemannes und Vaters hat auch in ihrem Leben getötet. Diesen Schmerz mussten sie ihr Leben lang tragen und aushalten. Ich bin sicher: Gott, den wir als Gerechtigkeit, Wahrheit und Leben verehren, den wir als solchen erfahren haben, ist erschüttert darüber, wie Menschen mit Menschen umgehen. Mit Menschen, die sich zu ihm bekennen, die an ihn glauben und sich für die Verkündigung seiner Botschaft einsetzen. In welchem Glauben auch immer.

Deshalb sind wir miteinander auch so erschüttert über das, was sich im Irak, in Syrien, in Afrika und an vielen anderen Orten der Welt abspielt. Dass Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt und getötet werden. Wir wollen sie alle heute in unser Beten einschließen. „Wenn er [der Schuldige] alle Vergehen, deren er sich schuldig gemacht hat, einsieht und umkehrt, wird er bestimmt am Leben bleiben.“ (Ez 18,28) Das mag ja sein. Und es erscheint uns auch korrekt, wenn einer nach Einsicht und Umkehr am Leben bleibt. Es sticht der Stachel, dass der Gerechte nicht am Leben bleibt.

Das wusste und beschreibt der Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi. „Jesus Christus erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2,8) Der Gerechte muss leiden und sterben. So, wie es Nikolaus Groß damals und den vielen Christinnen und Christen heute ergangen ist und ergeht, so ist es Jesus Christus ergangen. Der, der sich für das Leben der Menschen eingesetzt hat, der vielen zum Leben verholfen hat, wird seines Lebens beraubt, wird auf brutale Weise gefoltert und getötet. Die Abwärts-Bewegung ist nicht zu übersehen. Jesus Christus, Nikolaus Groß, die vielen Märtyrerinnen und Märtyrer – in den verschiedenen Religionen – werden kleingemacht und aus dem Leben in den Tod getrieben.

Paulus bekennt in seinem Brief: „Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: ‚Jesus Christus ist der Herr‘ – zur Ehre Gottes, des Vaters.“ (Phil 2,9-11)

Der, der getötet wurde, bleibt nicht tot. Der Gott des Lebens ruft ihn zurück ins Leben. Wir feiern die Auferstehung Jesu Christi – immer wieder neu. Auch in diesem Gottesdienst. Diese Feier kann unseren Glauben stärken, dass das Leben weitergeht, dass das Leben stärker ist als der Tod. Auch für Nikolaus Groß, für alle, die wie er sterben mussten, für die zahllosen Opfer von Krieg und Terror heute.

Das Leben siegt. Und auch, wenn einer tot ist, wird er leben. – Eine billige Vertröstung für alle, die den Tod eines Menschen miterleben, mittragen, mitleiden mussten oder müssen? Ich glaube, dass das Beispiel Jesu und ermutigen und stärken will. Da redet nicht einer fromm daher, dass das Leben weitergeht, dass alles gut wird, dass wir alle, alle in den Himmel kommen. Jesus zeigt am eigenen Leib die Abwärtsbewegung, der menschliches Leben ausgesetzt ist. Leben ist Leben zum Tod. Jesus will uns aber gleichzeitig mitnehmen – davon bin ich zutiefst überzeugt – in die Aufwärtsbewegung seines Lebens. Auf den Weg in das Leben ohne Gefährdung, ohne Folter, ohne Tod. Dieses Leben hat er immer wieder bezeugt.

Und was hat das alles jetzt mit uns zu tun? Mit uns, die nicht verfolgt sind, die gefahrlos ihren Glauben leben und bekennen können? Die herausgefordert sind, gerecht und wahrhaftig zu leben? Ich bin sicher: Jede und jeder von uns kennt – wenn nicht die große, so doch – eine kleine Abwärtsbewegung im eigenen Leben. Für den einen ist es die fehlende Anerkennung im Beruf. Für eine andere die schwer zu ertragende Doppelbelastung von Familie und Beruf. Da fordert eine Krankheit eines leiben Menschen unseren Einsatz und unsere Nähe. Oder die drohende Arbeitslosigkeit der eigenen Kinder oder Enkel.

Wir dürfen diese Belastungen nicht schönreden, dürfen sie nicht kleiner machen als sie sind. Auch nicht angesichts des großen Leids vieler Menschen. Aber wir dürfen uns in den Situationen des eigenen – oft sehr subjektiv empfundenen Leides – an die Seite Jesu stellen und von seiner Lebens-Kraft und seinem Lebens-Willen für uns profitieren. Auch deshalb sind wir hier zusammengekommen. Deshalb feiern wir Gottesdienst. Deshalb beten wir. Nikolaus Groß hat am 4. Dezember 1944 an seine Frau Elisabeth geschrieben: „Ja, Gott gibt mir durch das Gebet viel Frieden und stille Herzensfreude. Darum ist es falsch, um mein Schicksal zu weinen und es zu bedauern. Lasst uns vielmehr im vereinten Gebet Gott danken und loben für alle Gaben des Leibes und der Seele.“

Wir vereinen uns heute im Gebet, wir tun es immer wieder in unseren Gemeinden, in unseren Verbänden, in der KAB, in vielen Gruppen, auch – immer noch – in unseren Familien. Da gibt es die vielen kleinen Zeichen, die Gebet sind, auch wenn die Menschen, die sie setzen, vielleicht abstreiten würden, dass sie beten. Ich bin dankbar um die vielen Kerzen, die Kinder und Erwachsene entzünden. Um die guten Gedanken, die Menschen einander senden. Um die aktive Präsenz z.B. beim Schweigemarsch in Essen am vergangenen Freitag. Weil Menschen einander so beistehen, können sie – davon bin ich überzeugt – Schmerz und Leid aushalten, können sie Kraft finden zum Widerstand, können sie den Lebenswillen behalten. Können sie in letzter Konsequenz das Leben hingeben, wie Nikolaus Groß es getan hat. Seine Stärke war auch seine Frau Elisabeth.

Paulus schreibt: „Macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig.“ (Phil 2,2) Das haben Nikolaus und Elisabeth Groß erfahren, das erfahren wir auf ganz verschiedene und doch realre Weise. Gott sei Dank.

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