Reportage der Woche: Auf Schalke

Ein Papst, der Staub aufwirbelt

"Heimspiel" im Gelsenkirchener Parkstadion

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Für einen Moment blieb der wartenden Menge die Luft weg. Eine riesige Wolke aus Staub und roter Asche hatte Ehrengäste und Polizisten, Sanitäter und Journalisten in dichten Nebel gehüllt. Heftiger Fahrtwind von drehenden Rotorblättern pustete unaufhörlich neuen Dreck auf die ungeschützte Empfangsdelegation, und erst als der wuchtige Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes sanft auf dem Boden aufsetzte, der Pilot die Maschine stoppte, kehrte wieder Ordnung in das unfreiwillige Chaos. Die Tür ging auf, und heraus trat der lang erwartete Gast: Johannes Paul II., ein Papst, der Staub aufwirbelt - in jeder Beziehung.

Ein Blick auf die Uhr: 17.08 Uhr. Gute fünf Stunden ist Papst Johannes Paul II. jetzt im Bistum Essen, doch zum erstenmal an diesem Samstag traut sich die Sonne zwischen den Wolken hervor. Nach den heftigen Schauern auf der Bottroper Schachtanlage, nach dem Nieselregen in Essen scheint es fast, als habe sich Lorenz am Himmel seine ganze Kraft für den feierlichen Höhepunkt dieses Tages aufgehoben, die Eucharistiefeier im Parkstadion von Gelsenkirchen.

Nur wenige Zuschauer haben das Landemanöver abseits des Ovals live miterlebt. Überschwenglich winken sie dem Papst zu, rufen und jubeln, während Johannes Paul II. gemeinsam mit Ruhrbischof Dr. Franz Hengsbach ins "Papamobil" steigt. Von eifrigen Helfern dürften beide mittlerweile erfahren haben: Das Parkstadion ist fast bis auf den letzten Platz besetzt; 90000 Menschen, so schätzt die Polizei, warten seit Stunden auf den Heiligen Vater.

Als sich der Wagen mit dem gläsernen Aufbau vor dem Stadion in Bewegung setzt, beginnen für den mit-laufenden Pulk, für Organisatoren und Journalisten spannende 100 Meter. Im Stadion rumort es, soviel steht fest, und als die ersten Sicherheitsbeamten aus dem Tunnel unter der überdachten Sitztribüne, dem Marathontor, ins Stadionrund treten, setzt begeisterter Jubel ein: Sie sind da!

Mag sein, daß das Parkstadion schon manch grandiosen Sieg der Schalker Blau-Weißen erlebt hat, mag sein, daß die Tore des FC im tosenden Jubel untergegangen sind. Doch im Vergleich zu diesen Minuten sind das fast bescheidene Verhältnisse. Denn nicht 70000, wie sonst (maximal) üblich, nein, 90000 Menschen sorgen dafür, daß der Papst hier mitten in der Revierstadt Gelsenkirchen ein "Heimspiel" hat.

Das Stadion gleicht einem Meer aus Farben, bunt und lebhaft, spontan und offen. Kinder und Jugendliche, Erwachsene und alte Menschen rufen allein und im Chor, winken mit Styropor-Sitzen und Taschentüchern, Notenblättern und Fähnchen dem Wagen auf seiner Runde durchs Stadion zu. Jeder sagt auf seine Weise "willkommen", ob durch Wimpel oder mit der Aufschrift "Totus Tuus" ("Ganz Dein"), dem Wahlspruch des Heiligen Vaters oder durch ein überdimensionales Transparent und die flotte Formel:" Johannes Paul II, wir sind auf deiner Seite."

Der Rundkurs wird zum Triumphzug, und nur mit Mühe bahnen die Sicherheitsbeamten einen Weg durch die begeisterte Menge, zurück in den Tunnel. Während sich der Papst auf die folgende Eucharistiefeier vorbereitet, erläutern verschiedene Sprecher abwechselnd die Symbolik des Altares. Im Grundriß bildet er einen sechszackigen Stern, dessen Mittelpunkt über dem Anstoßpunkt des Fußballfeldes liegt. Der Stern als Anstoß, Stein des Anstoßes?

Den Wortspielen setzen die Sprecher Symbolik entgegen: Da wird der sechszackige Stern zum Fundament des Glaubens, zusammengesetzt aus zwei Dreiecken - dem Credo an den dreifaltigen Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, und der Verpflichtung auf Glaube, Hoffnung und Liebe. Noch einmal brandet herzlicher Beifall auf, als der Papst zur Feier der Eucharistie wieder ins Stadion tritt - dann kehrt andächtige Ruhe ein. Immerhin knapp drei Stunden wird die Meßfeier dauern, doch den Gläubigen auf den Rängen und am "Spielfeld" ist die Anstrengung nicht anzumerken. Deutlich wird dies vor allem in der Predigt des Papstes, die er - wie sämtliche Reden - in deutscher Sprache hält.

Immer wieder zeigt spontaner Beifall der 90000, daß sie dem Papst sehr wohl aufmerksam zuhören, auch wenn die Lautsprecheranlage gelegentlich einen Ton verschluckt, der Papst ein Wort vergißt. Und besonderen Applaus erntet Johannes Paul II. für seinen Schlußappell an die Menschen im Ruhrgebiet:

"Sorgt, daß ihr nicht erfriert im Egoismus und Konkurrenzkampf, im Leerlauf der Betriebsamkeit und Vergnügungsjagd", so warnt er eindringlich und fügt hinzu: "Ihr sorgt euch, daß die Förderbänder laufen und die Feuer in den Stahlwerken nicht erlöschen, weil Euch die Sorge um die Arbeitsplätze drückt. Ich teile eure Sorge. Teilt ihr auch meine Sorge, daß die Feuer des Glaubens nicht herunterbrennen, daß nicht Asche bleibt statt Glut."

Der Papst, der Staub aufwirbelt. Da bleibt es nicht allein bei einer Solidaritätsadresse an die Arbeiter im Revier. Hat Johannes Paul II. vor wenigen Stunden auf der Schachtanlage Prosper Haniel in Bottrop den Schwerpunkt auf die soziale Frage gelegt, so geht es in Gelsenkirchen um die Grundlage des christlichen Lebens: "Glaubt an die Zukunft eurer Heimat! Glaubt an die Zukunft der Kirche! Glaubt an den auferstandenen Heiland und Herrn Jesus Christus!" Daß ihm bei alledem vor allem die Jugend am Herzen liegt, beweist der Papst in einem eigenen kurzen Großwort:

"Mit Christus gibt es kein Verlustgeschäft", muntert er darin auf und ruft den Tausenden unter großem Beifall zu: "Denkt insbesondere auch an eure Kameraden ohne Ausbildungsplatz und ohne Arbeit, an die Ausländer, an Behinderte, an Jugendliche in schweren familiären Verhältnissen, aber auch an die Menschen in der Dritten Welt, die sich nach Gerechtigkeit und Frieden sehnen und dafür große Opfer bringen müssen"‚ ruft er den 90000 zu, die noch einmal tosenden Beifall spenden.

"Schade, daß er nicht öfter frei redet". - Die junge Sängerin spricht aus, was viele denken: Wie viel Sympathie, wie viel ungezwungene Spontaneität mag bei diesem Papst noch unentdeckt sein, verborgen durch die Zwänge des Protokolls und die Grenzen der Diplomatie.

Während drinnen im Stadion noch der Rosenkranz gebetet wird, spritzt draußen ein Feuerwehrmann die Aschenbahn mit Wasser ab. Der Grund: Beim neuerlichen Start in wenigen Minuten soll der Papst nicht so viel Staub aufwirbeln. Warum eigentlich nicht...?!

Ruhrwort, 9. Mai 1987


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